Mimic Robotics setzt bei der industriellen Automatisierung der Zukunft auf Geschicklichkeit

Mimic Robotics AG
Die europäische Robotiklandschaft hat einen unerwarteten Spitzenreiter bekommen. Das in Zürich ansässige Unternehmen Mimic Robotics hat in einer Frühphasenfinanzierung mehr als 20 Millionen Dollar eingesammelt und positioniert sich gegen den globalen Trend zu humanoiden Robotern.

Die europäische Robotikszene hat einen überraschenden neuen Marktführer. Das in Zürich ansässige Unternehmen Mimic Robotics hat sich über $20 Millionen Euro Startkapital gesichert und tritt damit selbstbewusst in den globalen Wettlauf um humanoide Roboter ein. RAnstatt zu versuchen, Laufmaschinen zu bauen, die menschlichen Arbeitern ähneln, konzentriert sich das Start-up auf eine einzige Fähigkeit, die nach wie vor schwer zu automatisieren ist: Handarbeit. Investoren glauben, dass skalierbare, zuverlässige Geschicklichkeit und nicht menschenähnliche Maschinen die nächste Stufe der industriellen Automatisierung bestimmen werden.

Die 16 Millionen Dollar schwere Startkapitalrunde von Mimic wurde von Elaia und Speedinvest angeführt, unter Beteiligung von Founderful, 1st Kind, 10X Founders, 2100 Ventures und dem Sequoia Scout Fund. Einschließlich öffentlicher Zuschüsse und einer früheren Pre-Seed-Runde hat Mimic die 20-Millionen-Dollar-Marke überschritten. Die Finanzierung unterstreicht das wachsende Interesse an Systemen, die die physische Welt mit der Flexibilität qualifizierter Arbeitskräfte interpretieren und mit ihr interagieren können.

Eine strategische Abkehr vom Hype um Humanoide

Das 2024 gegründete Unternehmen betritt ein Feld, das von großen Akteuren dominiert wird, die die Vision von Laufrobotern propagieren, die Seite an Seite mit Menschen arbeiten. Firmen wie Figure AI und Agility Robotics haben mit Prototypen, die für den Einsatz in Lagerhäusern und Fabrikhallen konzipiert sind, große Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Mimic stellt diese Prämisse mit einem klaren Argument in Frage: Mobilität ist in den meisten industriellen Arbeitsabläufen nicht der limitierende Faktor. Das ist vielmehr die Geschicklichkeit.

Mitbegründer und Chief Product Officer Stephan-Daniel Gravert erklärt gegenüber der Presse, dass Unternehmen zuverlässige Systeme benötigen und keine menschenähnlichen Silhouetten. Seiner Meinung nach verursachen Beine zusätzliche Kosten, Zertifizierungshürden und technische Komplexität, ohne die praktischen Engpässe in Fabriken oder Logistikzentren zu lösen. Was Unternehmen durchweg fehlt, ist die Fähigkeit, Aufgaben zu automatisieren, die Fingerspitzengefühl, schnelle Mikroanpassungen und einen sicheren Umgang mit einer Vielzahl von Materialien erfordern.

Diese Einschätzung deckt sich mit den Erwartungen von Analysten, die bis 2035 einen starken Wachstumsschub für den Markt für Feinmotorik- und humanoide Robotik prognostizieren. Der Mehrwert dürfte jedoch eher von Manipulatoren ausgehen, die Aufgaben bewältigen können, die aktuelle Industrieroboter nicht bewältigen können, als von Laufmaschinen.

Forschungswurzeln an der ETH Zürich

Die Gründer stammen aus dem Soft Robotics Lab der ETH Zürich unter der Leitung von Professor Robert Katzschmann. Das Labor gilt als eine der führenden Einrichtungen Europas für adaptive und konforme Robotik. Die Forschung des Teams konzentrierte sich auf flexible Systeme, die sich an unvorhersehbare Umgebungen anpassen und sicher mit einer Vielzahl von Objekten interagieren.

Diese Prinzipien bilden den Kern der Technologie von Mimic. Das Unternehmen stützt sich auf ein Lernmodell, das durch Beobachtung Geschicklichkeit erlangt. Erfahrene Arbeiter in realen Produktionsumgebungen tragen Datenerfassungsgeräte, während sie ihre regulären Aufgaben ausführen. Die erfassten Bewegungen, Druckmuster und Korrekturmaßnahmen fließen in ein Grundmodell ein, das nach und nach ein Verständnis für physische Manipulation entwickelt.

Gravert erklärt, dass Daten, die direkt von erfahrenen Arbeitern stammen, die Präzision und Robustheit des Systems erhöhen. Anstatt programmierten Routinen zu folgen, generieren die Roboterhände kontextsensitive Aktionen, die Objektvariabilität, instabile Positionen oder plötzliche Störungen berücksichtigen. Herkömmliche Industrieroboter zeichnen sich durch ihre Leistungsfähigkeit in starren und sich wiederholenden Umgebungen aus. Das System von Mimic zielt auf die unvorhersehbaren Lücken ab, die diese Roboter offen lassen.

Nachfrage aufgrund von Arbeitskräftemangel

In ganz Europa berichten Unternehmen von akutem Personalmangel bei manuellen, repetitiven und präzisionsabhängigen Tätigkeiten. Viele Stellen in Fabriken und in der Logistik, die ständige Handarbeit erfordern, bleiben unbesetzt. Die alternde Bevölkerung, steigende Arbeitskosten und hohe Fluktuationsraten verstärken den Druck zur Automatisierung. Besonders groß ist die Lücke in Branchen, die auf die Montage kleiner Teile, das Verpacken, Sortieren oder Handhaben verformbarer Güter angewiesen sind.

Mimic hat sich zum Ziel gesetzt, Geschicklichkeit in eine skalierbare Fähigkeit umzuwandeln. Laut CEO Stefan Weirich besteht die Herausforderung darin, ein System einzusetzen, das sich in bestehende Produktionsschritte integrieren lässt, ohne dass eine vollständige Umstrukturierung der Arbeitsabläufe erforderlich ist. Das Unternehmen führt Pilotprojekte mit Firmen aus den Bereichen Automobil, Logistik und allgemeine Fertigung durch. Obwohl die Teilnehmer vertraulich bleiben, wird von großem Interesse berichtet, insbesondere dort, wo Variabilität und Geschwindigkeit klassische Robotik ungeeignet machen.

Die kommerzielle Markteinführung wird innerhalb von ein bis zwei Jahren erwartet. Investoren halten dies angesichts der in ersten Tests erzielten Fortschritte für ambitioniert, aber plausibel. Branchenbeobachter stellen fest, dass die Kombination aus mechanischem Fachwissen und einem lernbasierten Modell Mimic einen Vorteil gegenüber anderen Start-ups verschafft, die sich auf ähnliche Bereiche konzentrieren.

Europäische Stärken im Bereich Deep Tech

Mimic beschäftigt derzeit rund 25 Mitarbeiter und plant, bis Jahresende die Marke von 30 Mitarbeitern zu überschreiten. Der Ansatz des Unternehmens spiegelt einen Stil wider, der oft mit europäischen Deep-Tech-Unternehmen in Verbindung gebracht wird. Das Unternehmen verzichtet auf hochglanzpolierte öffentliche Präsentationen und legt stattdessen Wert auf Glaubwürdigkeit und realistische Meilensteine. Für Investoren signalisiert dies Disziplin in einem Bereich, in dem übertriebene Versprechungen an der Tagesordnung sind.

Mehrere Beobachter betonen, dass Europas Vorteil in seinen Forschungseinrichtungen und seiner Ingenieurstradition liegt. Die Entwicklung von Mimic zeigt, wie sich ein Spin-off aus einem akademischen Labor zu einem kommerziellen Unternehmen entwickeln kann, wenn der Übergang eher von industriellen Anforderungen als von rein wissenschaftlichen Ambitionen geleitet wird.

Das Lernmodell des Unternehmens, das kontinuierlich mit realen menschlichen Daten trainiert wird, bietet eine Form der Verteidigungsfähigkeit, die durch Simulation allein nur schwer zu erreichen ist. Dies steht im Einklang mit einem allgemeinen Wandel im Robotiksektor. Unternehmen, die Robotik-Hardware mit spezialisierten, proprietären Datensätzen kombinieren, erzielen höhere Bewertungen als solche, die eine allgemeine Automatisierung ohne klaren Einstiegsmarkt verfolgen.

Argumente für Hände statt Beine

Trotz der Begeisterung für humanoide Prototypen spielt Mobilität in vielen industriellen Umgebungen nach wie vor nur eine untergeordnete Rolle. Fabriken sind strukturierte Räume, in denen Aufgaben an feste Arbeitsplätze gebunden sind. Arbeiter legen selten große Entfernungen zurück, um feinmotorische Tätigkeiten auszuführen. Die meisten Prozesse, die menschliche Hände erfordern, sind stationär oder finden innerhalb eines begrenzten Radius statt. Mimic ist der Ansicht, dass der Einbau von Beinen in ein System, das letztendlich an einem Ort verbleibt, zusätzliche Kosten verursacht, ohne die Produktivität zu verbessern.

Die dringlichere Herausforderung ist die Variabilität. Eine leicht falsch ausgerichtete Komponente oder ein weicheres Material als üblich kann eine Montagemaschine zum Stillstand bringen. Menschliche Arbeiter passen sich intuitiv an. Sie positionieren Teile neu, passen den Druck an, ändern den Greifwinkel und erkennen Abweichungen in der Beschaffenheit oder Elastizität. Diese Instinkte in mechanischer Form zu erfassen, hat sich als schwierig erwiesen. Hier sieht Mimic seine Marktchance.

Durch die Konzentration auf die letzten paar Prozent der Aufgaben, die sich hartnäckig der Automatisierung widersetzen, zielt das Unternehmen auf Bereiche mit hohem wirtschaftlichem Wert ab. Diese Aufgaben stellen oft die arbeitsintensivsten und am wenigsten vorhersehbaren Segmente eines Produktionsprozesses dar. Ihre Lösung würde erhebliche Effizienzsteigerungen ermöglichen.

Lehren für andere Start-ups

Die anfängliche Dynamik von Mimic bietet Gründern in der Robotik sowie in anderen Deep-Tech-Sektoren wertvolle Erkenntnisse.

  • Lösen Sie ein konkretes Problem statt eines imaginären: Start-ups verfolgen häufig Visionen, die vom Konzept her attraktiv sind, aber weit von den Prioritäten der Industrie entfernt sind. Mimic hat einen bestimmten Engpass identifiziert und ein Unternehmen gegründet, das sich mit dessen Beseitigung befasst.
  • Kombinieren Sie fundierte Forschung mit frühzeitiger industrieller Relevanz:  Akademische Exzellenz ist ein guter Ausgangspunkt, muss jedoch mit dem Bewusstsein für Zertifizierung, Wartungsanforderungen und Betriebssicherheit einhergehen. Die Gründer von Mimic haben diese Lücke von Anfang an geschlossen.
  • Verwenden Sie proprietäre Daten, um Verteidigungsfähigkeit zu schaffen: Physikalische KI hängt stark von hochwertigen Daten ab. Die Methode von Mimic, die Handbewegungen von Experten in realen Umgebungen aufzuzeichnen, schafft einen Datensatz, der für Wettbewerber nur schwer schnell zu replizieren ist.
  • Vermeiden Sie unnötige Komplexität: Der Bau eines Humanoiden mag Aufmerksamkeit erregen, verbessert aber nicht unbedingt die Produkt-Markt-Passung. Mimic konzentrierte sich auf eine einzige Fähigkeit, was klarere technische Prioritäten und einen direkteren kommerziellen Weg ermöglichte.
  • Glaubwürdigkeit ist ein entscheidender Vorteil im Hardwarebereich: Das Unternehmen kommuniziert maßvoll und gibt realistische Zeitpläne vor. In einer Branche, die für ihre optimistischen Prognosen bekannt ist, kann Zuverlässigkeit ein Start-up mindestens genauso effektiv von anderen abheben wie Technologie.

Ausblick

Mimic Robotics sieht sich nach wie vor mit den für Hardware-Unternehmen typischen langen Entwicklungszyklen und hohen Kapitalanforderungen konfrontiert. Der Sprung von Pilotprojekten zum groß angelegten industriellen Einsatz kann unvorhersehbar sein. Dennoch erfasst das Unternehmen einen Wandel in der Robotikbranche hin zu adaptiven Systemen, die eher aus menschlichem Fachwissen lernen als aus vorprogrammierten Regeln.

Wenn sich die Überzeugung der Gründer als richtig erweist und die Zukunft der Automatisierung mehr von der Beherrschung der Hände als vom Bau von Beinen abhängt, könnte Mimic Europa an die Spitze der nächsten Welle der Industrierobotik bringen. Das Start-up geht davon aus, dass der technologische Fortschritt in diesem Bereich möglicherweise nicht mit Humanoiden beginnt, die durch Fabrikhallen laufen, sondern mit einem bescheideneren, aber umso folgenreicheren Durchbruch: Roboterhänden, die verstehen, wie echte Arbeit verrichtet wird.

Referenzen (APA)

  • Goldman Sachs. (2023). Marktprognose für humanoide und feinmotorische Robotik bis 2035. Goldman Sachs Research.
  • Katzschmann, R., & Soft Robotics Lab, ETH Zürich. (o. J.). Überblick über die Forschung im Bereich der adaptiven Robotik. ETH Zürich.
  • Elaia. (2024). Investitionsankündigung: Startkapital für Mimic Robotics. Elaia Partners.
  • Speedinvest. (2024). Unterstützung für europäische Deep-Tech-Unternehmen: Bekanntgabe der Finanzierung von Mimic Robotics. Speedinvest GmbH.
  • Abbildung KI. (2023). Aktuelles zur Entwicklung von Allzweckrobotern. Abbildung AI Inc.
  • Agility Robotics. (2023). Digit: Anwendungen in der Lager- und Fabrikmobilität. Agility Robotics Inc.
  • Dyna Robotics. (2024). Übersicht über adaptive Manipulationssysteme. Dyna Robotics AG.
  • Körperliche Intelligenz. (2024). Lernbasierte Geschicklichkeit in der Robotik. Physical Intelligence Ltd.

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