Der europäische Bausektor befindet sich seit mehreren Jahren im Rückgang. Steigende Zinsen, volatile Materialpreise und ein Einbruch bei den Baugenehmigungen für Wohnimmobilien haben große Teile der Branche in eine Schrumpfung getrieben. Die Schweiz folgte einigen dieser Trends, jedoch nie in gleichem Maße. Aktuelle Zahlen vom Dezember 2026 deuten darauf hin, dass der Schweizer Bauzyklus früher als in den Nachbarländern eine Aufwärtsbewegung vollzieht. Die Verbesserung zeigt sich in der Wohnungsbau-Pipeline, bei Infrastrukturprojekten und in den Auftragsbüchern der großen Zulieferer. Während sich Europa erst allmählich stabilisiert, startet die Schweiz mit einer Baubranche ins Jahr 2026, die nicht nur stabiler ist, sondern auch auf struktureller Nachfrage statt auf kurzfristigen Impulsen basiert.
Wohnungsbau stärker als erwartet
Die neuesten Daten des Schweizerischen Baumeisterverbands (SBV) liefern das deutlichste Signal. Der Bauindex des Verbands, der die saisonbereinigten Bauumsätze und die Erwartungen für die kommenden Quartale widerspiegelt, stieg Ende 2025 erstmals seit zwei Jahren wieder über 100 Punkte. Nach Angaben des SBV beliefen sich die Branchenumsätze im dritten Quartal 2025 auf 6,7 Milliarden Franken, was einem Anstieg von 4,8 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum entspricht. Noch schneller wuchs das Segment Wohnungsbau. Die Umsätze im Mehrfamilien- und Wohnungsbau stiegen um mehr als 9 Prozent auf 3,4 Milliarden Franken.
Die SBV schätzt, dass bis Ende 2025 rund 44’000 neue Wohneinheiten fertiggestellt sein werden. Diese Fertigstellungen werden durch gut gefüllte Auftragsbücher gestützt. Die bereits unterzeichneten Verträge dürften die Aktivität bis zur ersten Hälfte des Jahres 2026 aufrechterhalten. Die SBV warnt davor, dass der Rückgang der Bauanträge die Dynamik im weiteren Verlauf des Jahres dämpfen könnte, doch derzeit zeigt der Wohnungsbau eine deutliche Erholung.
Die Kosten haben dabei eine entscheidende Rolle gespielt. Das Statistische Bundesamt meldet, dass der nationale Baupreisindex zwischen Oktober 2024 und April 2025 nur um 0,6 Prozent gestiegen ist. Nach der starken Kosteninflation der vergangenen Jahre hat diese Stabilisierung den Bauträgern mehr Planungssicherheit gegeben und ermöglicht, dass zuvor zurückgestellte Projekte nun vorangetrieben werden können.
Wo die Schweiz baut: Eine starke urbane Anziehungskraft
Der Aufschwung konzentriert sich auf Regionen mit der höchsten Nachfrage. Zürich, die Zentralschweiz und die Genferseeregion verzeichneten den stärksten Anstieg der Bautätigkeit, unterstützt durch Bevölkerungswachstum und extrem niedrige Leerstandsquoten. In Zürich und Genf liegt die Leerstandsquote deutlich unter einem Prozent. Zug und Lausanne weisen ähnliche Bedingungen auf. Diese Zahlen stehen im Einklang mit einer seit Jahren anhaltenden Wohnungsknappheit.
Basel-Stadt und Basel-Landschaft weisen ein anderes Muster auf. Hier dominieren Renovierungs- und energetische Sanierungsarbeiten, unterstützt durch kantonale Klimaprogramme und einen alternden Wohnungsbestand. Das Tessin und Teile der Ostschweiz zeigen moderatere Trends, was auf ein langsameres Bevölkerungswachstum und ein elastischeres Angebot zurückzuführen ist.
Die regionalen Unterschiede bestätigen, dass die derzeitige Erholung in den Bereichen stattfindet, in denen die Nachfrage strukturell am stärksten ist. Es handelt sich nicht um einen künstlich breit angelegten Aufschwung, sondern um eine gezielte Reaktion auf Bedingungen, die sich seit Jahren entwickelt haben.
Was die Schweiz baut: Mehrfamilienhäuser, Wohnanlagen und Renovierungen
Die Zusammensetzung der Neubauprojekte erklärt ebenfalls die Widerstandsfähigkeit des Sektors. Nach Angaben des Bundesamtes für Statistik (BFS) fallen rund 82 Prozent der für 2024 und 2025 geplanten Wohneinheiten in die Kategorie Mehrfamilien- und Mehrparteienhäuser. Der Anteil der Einfamilienhäuser nimmt aufgrund von Bebauungsvorschriften, begrenzter Grundstücksverfügbarkeit und hohen Grundstückspreisen weiter ab. Diese Verschiebung spiegelt langfristige Urbanisierungstrends und die Notwendigkeit wider, in wachsenden Ballungsräumen eine effizientere Wohnungsdichte zu schaffen.
Renovierungsarbeiten sind zu einer zweiten Säule der Baunachfrage geworden. Das BFS stellt fest, dass der Wert der Renovierungsarbeiten im Jahr 2024 um 7,4 Prozent gestiegen ist. Große Anbieter bestätigen diesen Trend. Mehr als 60 Prozent des Umsatzwachstums von Geberit in Deutschland und der Schweiz im Jahr 2025 stammten aus Renovierungsarbeiten. Die Modernisierung von Heizungs-, Lüftungs- und Dämmsystemen wird durch eine Kombination aus regulatorischen Anreizen und der Notwendigkeit zur Verbesserung der Energieeffizienz vorangetrieben.
Diese beiden Faktoren – Mehrfamilienhäuser und Wohnungen einerseits und Renovierungen andererseits – verdeutlichen, warum die derzeitige Erholung nicht nur zyklischer Natur ist. Sie wird von strukturellen Kräften geprägt, die unabhängig von den kurzfristigen Marktbedingungen bestehen bleiben.
Europa stabilisiert sich später und langsamer
In Europa war der Konjunkturzyklus im Bauwesen deutlich schwächer. EUROCONSTRUCT, das die Entwicklung des Sektors in neunzehn Ländern verfolgt, berichtet, dass die Gesamtproduktion 2023 um 0,5 Prozent und 2024 um 1,7 Prozent zurückgegangen ist. Für 2025 wird ein moderater Anstieg von 0,3 Prozent prognostiziert. Für 2026 wird ein deutlicherer Anstieg von 2,4 Prozent erwartet, der jedoch von den Finanzierungsbedingungen und der Fähigkeit der Regierungen abhängt, die Baugenehmigungen zu beschleunigen.
Deutschland zeigt, wie fragil die Lage nach wie vor ist. Nach drei Jahren rückläufiger Baugenehmigungen war der Anstieg im September 2025 zwar signifikant, ging jedoch von dem niedrigsten Stand seit 2012 aus. Mehrere Schweizer Anbieter mit starker Präsenz in Deutschland berichten daher nur von einer allmählichen Verbesserung. Die Divergenz zwischen einem nach wie vor zögerlichen europäischen Markt und einer dynamischeren Schweizer Landschaft unterstreicht die relative Stärke der Schweiz.
Signale aus der Lieferkette bestätigen einen Wendepunkt
Die Unternehmenszahlen spiegeln die Makrotrends wider. Geberit meldete für das dritte Quartal 2025 in Deutschland ein Umsatzwachstum von 5,6 Prozent in Euro, das vor allem auf Renovierungsaktivitäten zurückzuführen ist. Zehnder erzielte im ersten Halbjahr ein zweistelliges Umsatzwachstum. Das Lüftungsgeschäft, das mittlerweile zwei Drittel des Gesamtumsatzes ausmacht, wuchs um 24 Prozent. Arbonia, das stark vom deutschen Neubau-Markt abhängig ist, bleibt vorsichtiger, was mit der langsameren Erholung in Deutschland im Einklang steht.
Am anderen Ende des Spektrums verzeichnen Unternehmen, die sich auf Infrastruktur und komplexe Bauvorhaben konzentrieren, eine robuste Nachfrage. Implenia steigerte seinen Auftragsbestand im ersten Halbjahr 2025 um 10 Prozent auf 7,8 Milliarden CHF. Die Gruppe gewann neue Aufträge im Tunnelbau, in der Brückensanierung und im Bereich Spezialimmobilien wie Krankenhäuser und Forschungseinrichtungen. Belimo, das sich auf Klimatisierungskomponenten für Gewerbegebäude und Rechenzentren konzentriert, steigerte seinen Umsatz in lokalen Währungen im ersten Halbjahr 2025 um 20,6 Prozent.
Insgesamt deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass sich die Erholung nicht auf einen einzelnen Bereich beschränkt. Sie breitet sich über die gesamte Lieferkette aus, wenn auch je nach Exposition gegenüber den europäischen Märkten mit unterschiedlicher Geschwindigkeit.
Infrastruktur als stabiler Anker
Eine der am wenigsten volatilen Komponenten des Bausektors ist die Infrastruktur. Die Schweiz steht vor einer Phase erhöhter Investitionen in Verkehr, Energie und digitale Netzwerke. Die Bundesausgaben in diesen Bereichen werden zwischen 2025 und 2028 voraussichtlich rund 11,9 Milliarden Franken pro Jahr erreichen. Dies verschafft der Branche langfristige Sichtbarkeit und unterstützt Unternehmen, die sich auf grosse, technisch anspruchsvolle Projekte spezialisiert haben.
Der Ausbau von Rechenzentren, insbesondere in der Region Zürich, fügt eine weitere Dimension hinzu. Angesichts der steigenden Nachfrage nach Rechenkapazitäten sind mehrere Großprojekte geplant oder befinden sich bereits im Bau. Diese Entwicklungen erfordern spezielle Bautechniken, eine stabile Stromversorgung und fortschrittliche Kühlsysteme, was den Bausektor weiter ankurbelt.
Strukturelle Nachfrage stützt den Ausblick
Die langfristigen Treiber der Nachfrage nach Wohnraum in der Schweiz bleiben unverändert bestehen. Die Schweiz verzeichnete 2024 einen Bevölkerungszuwachs von rund 74’000 Einwohnern, der grösstenteils auf die Nettozuwanderung zurückzuführen ist. Die Haushaltsgrösse nimmt weiter ab, wodurch der Bedarf an Wohnraum steigt, selbst wenn sich das Bevölkerungswachstum verlangsamen sollte. Die Knappheit an Bauland, restriktive Bebauungsvorschriften und komplexe Genehmigungsverfahren sorgen weiterhin für ein begrenztes Angebot.
Dieses strukturelle Ungleichgewicht erklärt, warum die Schaffung von 44’000 neuen Wohneinheiten im Jahr 2025 die Knappheit nicht beseitigen wird. Es erklärt auch, warum die Schweiz die ausgeprägten Korrekturen auf dem Wohnungsmarkt vermieden hat, die in einigen europäischen Ländern zu beobachten waren. Die Nachfrage ist stabil, das Angebot passt sich nur langsam an und die Leerstandsquoten gehören weiterhin zu den niedrigsten in Europa.
Ein Sektor, der auf seinen Stärken aufbaut
Die Signale sind über alle Datenquellen und Marktsegmente hinweg konsistent. Die Schweizer Bauindustrie geht gestärkt in das Jahr 2026 als viele andere europäische Länder. Der Wohnungsbau erholt sich, Renovierungen nehmen zu, die Investitionen in die Infrastruktur sind stabil und die Lieferkette spürt allmählich die Verbesserung. Die Erholung wird nicht durch Spekulationen angetrieben, sondern durch eine strukturelle Nachfrage, die auf demografischen Trends, dem Druck der Urbanisierung und langfristigen politischen Prioritäten beruht.
Die Schweiz baut weiter, nicht weil die Bedingungen einfach sind, sondern weil ein echter Bedarf besteht. Während Europa auf eine breite Erholung wartet, zeigt die Schweizer Bauwirtschaft, dass ein disziplinierter, nachfrageorientierter Markt auch vor einem schwierigen Hintergrund wieder an Dynamik gewinnen kann.
Referenzen (APA)
- Europäische Kommission / Euroconstruct. (2025). Euroconstruct-Zusammenfassungsbericht: Ausblick für den europäischen Baumarkt 2025–2027. Euroconstruct. https://www.euroconstruct.org
- Bundesamt für Statistik (BFS). (2025). Baukostenindex und Bautätigkeit 2024/2025. Bundesamt für Statistik. https://www.bfs.admin.ch
- Bundesamt für Statistik (BFS). (2025). Bau- und Wohnungswesen: Wohnungsbestand, Baugesuche und Fertigstellungen. Bundesamt für Statistik. https://www.bfs.admin.ch
- Implenia AG. (2025). Halbjahresbericht 2025. Implenia. https://implenia.com
- Schweizerischer Baumeisterverband. (2025). Bauindex Q3/Q4 2025. Schweizerischer Baumeisterverband. https://baumeister.swiss
- Geberit AG. (2025). Quartalsbericht Q3 2025. Geberit AG. https://www.geberit.com