Nur wenige Branchen haben eine so große strategische Bedeutung oder weisen einen so hohen Konzentrationsgrad auf wie die Halbleiterfertigung. Die heutigen Chips bilden die Grundlage für alles, von künstlicher Intelligenz und Hochgeschwindigkeitsfinanzwesen bis hin zu Verteidigungstechnologien und industrieller Automatisierung.Die für die Herstellung modernster Prozessoren erforderlichen Werkzeuge stammen jedoch von einem einzigen Unternehmen. ASML in den Niederlanden kontrolliert mehr als 90 Prozent des weltweiten Marktes für Extrem-Ultraviolett-Lithografiesysteme. Jede Maschine kostet mehr als 300 Millionen Euro, wiegt rund 180 Tonnen und erfordert Tausende von Spezialisten für die Montage.
Die Fertigungssparte der Lieferkette ist ähnlich konzentriert. TSMC in Taiwan produziert den Großteil der weltweit führenden Chips, während Samsung und SK Hynix die verbleibenden Kapazitäten betreiben. Diese Abhängigkeit ist zu einer geopolitischen Schwachstelle geworden. Vor diesem Hintergrund versucht ein Start-up aus Kalifornien etwas, was viele in der Branche einst für unmöglich gehalten haben: die Neugestaltung des Kernprozesses der Chipfertigung.
Das vor drei Jahren gegründete Unternehmen Substrate möchte die EUV-Lithografie durch ein System ersetzen, das auf Röntgenstrahlung basiert, die von kompakten Teilchenbeschleunigern erzeugt wird. Das Unternehmen hat mehr als 100 Millionen US-Dollar von Geldgebern wie Peter Thiel und In-Q-Tel, dem mit den US-Geheimdiensten verbundenen Investmentarm, eingesammelt. Seine Bewertung liegt bei rund einer Milliarde US-Dollar, obwohl es noch kein kommerzielles Produkt auf dem Markt hat. Für die Vereinigten Staaten steht das Projekt in engem Zusammenhang mit den nationalen Bemühungen zum Wiederaufbau der heimischen Chip-Produktion. Für die gesamte Branche stellt es eine potenzielle Alternative in einer Zeit dar, in der die weltweite Nachfrage stark steigt.
Eine globale Branche, die die Grenzen der Konzentration erreicht
Der Halbleitermarkt erzielte im Jahr 2024 einen Umsatz von rund 600 Milliarden US-Dollar und wird bis 2030 voraussichtlich auf eine Billion US-Dollar anwachsen. Allerdings sind nur wenige Unternehmen in der Lage, Chips mit einer Strukturbreite von weniger als sieben Nanometern herzustellen. TSMC allein macht mehr als 90 Prozent der weltweiten Kapazität für die modernsten Knotenpunkte aus. Unternehmen wie Nvidia, AMD, Qualcomm und Broadcom sind für ihre neuesten Prozessoren fast ausschließlich auf TSMC angewiesen.
Die Kapitalintensität ist enorm. Eine moderne Fertigungsanlage auf dem neuesten Stand der Technik erfordert eine Anfangsinvestition zwischen 15 und 25 Milliarden US-Dollar. Nach dem Bau sind weitere Ausgaben für Personal, Verfahrenstechnik und Ertragssteigerungen erforderlich. Die Komplexität von EUV hat eine Eintrittsbarriere geschaffen, die selbst Regierungen nur schwer überwinden können.
Die Vereinigten Staaten haben im Rahmen des CHIPS Act Subventionen in Höhe von 52 Milliarden Dollar zugesagt. TSMC investiert mehr als 40 Milliarden Dollar in seine Standorte in Arizona. Intels langfristiger Expansionsplan in mehreren Bundesstaaten beläuft sich auf über hundert Milliarden US-Dollar. Trotz dieser Summen wächst die Kapazität für die Produktion von Spitzentechnologie nur langsam.
Der Versuch von Substrate, EUV zu ersetzen
Substrate schlägt vor, intensive Röntgenstrahlen zu verwenden, die durch die Beschleunigung von Elektronen auf nahezu Lichtgeschwindigkeit und deren Leitung durch magnetische Strukturen, sogenannte Undulatoren, erzeugt werden. Die dabei entstehende Strahlung ist extrem hell, weniger anfällig für Streuung als ultraviolettes Licht und in der Lage, scharfe Muster auf Siliziumwafern zu erzeugen.
Analysten von Yole schätzen, dass die Produktionskosten für einen Wafer bei einer ausgereiften Technologie von rund 100.000 auf 10.000 Euro sinken könnten. Geringere Kapitalanforderungen würden neuen Herstellern den Markt öffnen und die weltweite Abhängigkeit von einer kleinen Anzahl von Fabriken verringern.
Die physikalischen Grundlagen dieser Idee sind erwiesen. Röntgenstrahlen können tiefer eindringen und eine höhere Strahlkohärenz aufrechterhalten, wodurch die in EUV-Systemen erforderlichen aufwendigen optischen Korrekturstapel überflüssig werden. Substrate behauptet, dass die Röntgenlithografie zu einem Einfachbelichtungsverfahren werden könnte, was die Werkzeugkonstruktion vereinfachen und möglicherweise den Durchsatz verbessern würde.
Das Interesse an alternativen Ansätzen wächst. Inversion Semiconductor entwickelt Tisch-Teilchenbeschleuniger, während XLight in Kalifornien an Freie-Elektronen-Lasern für die Chip-Produktion arbeitet. ASML hat in früheren Forschungsprogrammen beschleunigerbasierte Lichtquellen untersucht und besitzt Patente auf diesem Gebiet, konzentrierte sich jedoch letztendlich auf lasergeneriertes EUV.
Technische und industrielle Herausforderungen
Die Umsetzung dieser Idee in eine Produktionsplattform bleibt eine große technische Herausforderung. Hochintensive Röntgenstrahlen erfordern eine Fertigung unter Ultrahochvakuumbedingungen. Es müssen neue Fotolacke entwickelt werden, die den Strahlungswerten standhalten. Prozesssteuerungssysteme müssten von Grund auf neu konzipiert werden. Ein einzelner Beschleuniger kann mehrere Lithografiegeräte versorgen, was bedeutet, dass jede Fehlfunktion eine ganze Produktionslinie zum Stillstand bringen könnte.
Analysten von Jefferies schätzen, dass unter günstigen Bedingungen die kommerzielle Marktreife in zehn Jahren erreicht sein könnte. Die Messlatte liegt hoch. Die heutigen EUV-Maschinen liefern mehr als 200 Wafer pro Stunde bei hoher Verfügbarkeit. Substrate strebt den Start der Serienproduktion für 2028 an, aber viele in der Branche sehen Mitte der 2030er Jahre als frühesten realistischen Zeitrahmen.
Ein Projekt mit strategischer Unterstützung
Trotz der technischen Unsicherheiten ist das politische Interesse an Substrate groß. Hochrangige Beamte des US-Handelsministeriums und des Energieministeriums haben das Unternehmen besucht. Die Investition von In-Q-Tel signalisiert eine Übereinstimmung mit umfassenderen nationalen Sicherheitsüberlegungen.
Die Vereinigten Staaten streben nach mehr Autonomie bei der Produktion von Hochleistungs-Chips, die für Verteidigung, Infrastruktur und zukünftige industrielle Anwendungen von entscheidender Bedeutung sind. Mehr als 90 Prozent der weltweit führenden KI-Chips werden in Taiwan hergestellt. Eine Technologie, die die Kosten der heimischen Produktion senken könnte, ist daher äußerst attraktiv. Substrate profitiert von einer langen Tradition der öffentlich-privaten Zusammenarbeit in den Vereinigten Staaten, wo ein frühzeitiges Engagement der Regierung oft die Entwicklung von Deep-Tech-Technologien beschleunigt.
Warum dies für die Schweiz wichtig ist
Für die Schweiz sind die Entwicklungen in der internationalen Halbleiterfertigung mehr als nur eine ferne Industriegeschichte. Das Land investiert jährlich rund 24 Milliarden CHF in Forschung und Entwicklung, was etwa 3,4 Prozent des BIP entspricht. Seine Universitäten und Zentren für angewandte Forschung verfügen über fundiertes Fachwissen in Bereichen, die für die Chip-Technologien der nächsten Generation von unmittelbarer Bedeutung sind.
Die ETH Zürich und die EPFL bringen jedes Jahr zwischen 25 und 30 Deep-Tech-Spin-offs hervor. Das Schweizer Zentrum für Elektronik und Mikrotechnik (CSEM) in Neuenburg unterstützt mit einem Budget von rund 110 Millionen CHF nationale und internationale Partner in den Bereichen Mikrofabrikation, Nanolithografie, Photonik und Messtechnik.
Die Schweiz spielt auch in der industriellen Wertschöpfungskette eine bedeutende Rolle. Unternehmen wie STMicroelectronics beschäftigen rund 1000 Mitarbeitende in Genf und Neuenburg. Firmen wie Sensirion, u-blox und LEM liefern Sensoren, Konnektivitätschips und Leistungselektronik für globale Märkte. Die Schweizer Photonikindustrie erzielt jährlich einen Exportumsatz von mehr als 5 Milliarden Schweizer Franken und bildet einen der weltweit dichtesten Cluster für hochpräzise Optiktechnik.
In diesem Zusammenhang ist die Entwicklung alternativer Lithografieverfahren von großer Bedeutung. Wenn die Investitionskosten sinken und neue Produktionsparadigmen rentabel werden, könnten Teile der Halbleiterindustrie für Länder, die sich auf hochpräzise Subsysteme und forschungsorientierte Innovationen spezialisiert haben, leichter zugänglich werden. Die Schweiz passt gut zu diesem Profil.
Chancen für Schweizer Deep-Tech-Unternehmen
Der Ansatz von Substrate bietet eine nützliche Perspektive für die Schweiz. Das Land muss keine großen Chipfabriken bauen, um von den globalen Veränderungen zu profitieren. Stattdessen kann es seine Rolle als Anbieter von Basistechnologien stärken.
Schweizer Unternehmen sind bereits heute führend in den Bereichen optische Komponenten, Vakuumsysteme, Lasertechnologie, Positionierungsgeräte und Messinstrumente. All dies sind Bereiche, die für jede zukünftige Röntgenlithografieplattform von entscheidender Bedeutung sein werden. Spin-offs der ETH leisten Beiträge zu Quantensystemen, integrierter Photonik und neuartigen Materialien. Das Know-how des CSEM im Bereich der Mikrofabrikation könnte sich als wertvoll erweisen, wenn alternative Lithografiemethoden neue Prozessmodule erfordern.
Die Schweiz verfügt auch über Rahmenbedingungen, die die Entwicklung von Deep Tech in der Frühphase unterstützen, darunter die Flaggschiffprogramme von Innosuisse, nationale Quanteninitiativen und Innovationspartnerschaften von armasuisse. Diese Programme könnten ausgeweitet werden, um sicherzustellen, dass Schweizer Unternehmen frühzeitig Zugang zu neuen internationalen Forschungsnetzwerken und Prototyp-Plattformen erhalten.
Eine stärker vernetzte Innovationslandschaft
Der Wettlauf um Halbleiter tritt in eine experimentellere Phase ein. Angesichts der steigenden Nachfrage nach fortschrittlichen Rechnern werden weltweit neue Lichtquellen, neue Materialien und neue Prozessarchitekturen erforscht. Die Schweiz ist gut positioniert, um einen Beitrag zu leisten, da sie langfristige Forschungsinvestitionen mit industrieller Präzision verbindet.
Wenn neue Lithografie-Technologien technisch und wirtschaftlich rentabel werden, entstehen neue Strukturen in der Lieferkette. Dies könnte Chancen für Länder eröffnen, die sich eher auf hochwertige Komponenten als auf Massenproduktion spezialisiert haben. Die etablierten Stärken der Schweiz in den Bereichen Präzisionsmesstechnik, Optik und Automatisierung könnten dadurch noch an Bedeutung gewinnen.
Ein globaler Wettbewerb, den die Schweiz mitgestalten kann
Die Zukunft der Chipfertigung wird nicht von einer einzigen Technologie abhängen. EUV wird noch jahrelang der Industriestandard bleiben, aber alternative Ansätze gewinnen zunehmend an Bedeutung. Da der Halbleitermarkt auf eine Billion US-Dollar zusteuert, werden Kapazität und Optionen eine wichtige Rolle spielen.
Der Versuch von Substrate, die Lithografie neu zu denken, zeigt, dass selbst hochkonsolidierte Branchen für Umbrüche offen sind, wenn wissenschaftlicher Ehrgeiz, Industrietechnik und strategische Unterstützung zusammenkommen. Unabhängig davon, ob das Unternehmen letztendlich erfolgreich sein wird oder nicht, signalisiert das Projekt einen Wandel in der möglichen Entwicklung der nächsten Generation von Halbleitertechnologien.
Für die Schweiz stellt dies eher eine Chance als eine Herausforderung dar. Dank ihrer Stärken in den Bereichen Forschung und Ingenieurwesen kann das Land eine prägende Rolle in der sich entwickelnden Landschaft der fortschrittlichen Fertigung spielen. Wenn neue Technologien ausgereift sind, kann die Schweiz dazu beitragen, die Werkzeuge und Komponenten zu entwickeln, die die Chip-Produktion der Zukunft ermöglichen.
Referenzen (APA)
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