Singapur und die Schweiz: Zwei Innovationsführer und was Bern vom Stadtstaat lernen kann

Singapur
Nur wenige Länderpaare veranschaulichen so anschaulich, wie Wohlstand auf unterschiedliche Weise geschaffen werden kann, wie die Schweiz und Singapur. Beide sind klein, hoch entwickelt und zählen zu den reichsten Volkswirtschaften der Welt.

Während die Schweiz seit Jahren den Global Innovation Index anführt, hat Singapur eine konsequente Modernisierungsagenda verfolgt, die es an die Spitze von Rankings zum Geschäftsumfeld wie denen der Economist Intelligence Unit gebracht hat. Ein Vergleich der beiden Länder ist mehr als nur ein Kontrast zweier Erfolgsgeschichten; er zeigt auf, wo die Schweiz sich verbessern muss, wenn sie ihre Position langfristig verteidigen will.

Vermögen, angetrieben durch verschiedene Motoren

Laut dem Internationalen Währungsfonds wird das nominale Pro-Kopf-BIP der Schweiz im Jahr 2025 rund 111.000 US-Dollar erreichen, während Singapur mit 157.200 US-Dollar zur globalen Elite zählt. Beide Länder sind zweifellos wohlhabend. Die Schweiz bleibt jedoch der Maßstab für Innovation. In der Ausgabe 2024 des Global Innovation Index der Weltorganisation für geistiges Eigentum belegt sie erneut den ersten Platz, während Singapur unter den ersten fünf rangiert. Die Dominanz der Schweiz beruht auf einer seltenen Kombination aus akademischer Exzellenz, starker Forschungsintensität im privaten Sektor und robuster institutioneller Qualität.

Noch deutlicher ist die Kluft bei der digitalen Wettbewerbsfähigkeit. Im Jahr 2025 erreichte die Schweiz zum ersten Mal den ersten Platz im IMD World Digital Competitiveness Ranking, noch vor den Vereinigten Staaten und Singapur. Das IMD führt dies auf das umfangreiche “Wissenskapital” des Landes, die Stärke seines Bildungssystems und seine “Zukunftsfähigkeit” zurück, also die Fähigkeit der Unternehmen, neue Technologien schnell aufzunehmen und anzuwenden.

Das IMD begleitet sein Lob jedoch mit einer Warnung: Eine Führungsrolle heute ist keine Garantie für eine Führungsrolle morgen. Das Institut hebt Risiken hervor, die sich aus der Fragmentierung des Handels, dem Mangel an qualifizierten Arbeitskräften und dem schleppenden Tempo der digitalen Transformation in der Schweiz ergeben. Diese Bedenken spiegeln frühere Äußerungen von Peter Grünenfelder, Direktor von Avenir Suisse, wider, der in einem Bericht aus dem Jahr 2023 feststellte, dass die Schweiz zwar “nach wie vor sehr wettbewerbsfähig” sei, aber “eine Kultur der Selbstzufriedenheit zunehmend erkennbar” werde – ein Risiko, das seiner Meinung nach nicht unterschätzt werden sollte.

Talent: Singapur zieht davon

Singapur hat nun die Schweiz im globalen Wettbewerb um Talente überholt. Der Global Talent Competitiveness Index 2025 platziert den Stadtstaat auf dem ersten Platz und verdrängt die lange Zeit dominierende Schweiz auf den zweiten Platz. Die Autoren führen “effektive Regierungsführung”, eine global ausgerichtete Rekrutierungsstrategie und ein stark leistungsorientiertes Bildungssystem als Gründe an. Die jüngste Pisa-Studie der OECD bestätigt diese Einschätzung. Singapur belegte weltweit den ersten Platz in Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen. Schweizer Schüler schneiden zwar deutlich über dem OECD-Durchschnitt ab, bleiben aber hinter der globalen Spitze zurück.

Für eine exportorientierte Wirtschaft, die zunehmend durch den Mangel an qualifizierten Arbeitskräften eingeschränkt wird, stellt dieser Wandel eine strukturelle Bedrohung dar. Avenir Suisse warnt davor, dass die sinkende Attraktivität für Talente in Verbindung mit dem steigenden Kostendruck die Wettbewerbsposition der Schweizer Wirtschaft “erheblich verschärft”.

Innovation: Die Schweiz zeichnet sich in der Forschung aus, Singapur in der Skalierung.

Die Schweiz investiert stark in Forschung und Entwicklung. Der jüngste Bericht “Forschung und Innovation in der Schweiz 2022” beziffert die nationalen F&E-Ausgaben auf 3,151 % des BIP. Die WIPO-Daten für 2021 zeigen einen noch höheren Wert von 3,311 % – deutlich über dem OECD-Durchschnitt.

Singapur hingegen verzeichnete laut der nationalen F&E-Umfrage 2022 des Ministeriums für Handel und Industrie ein BIP von 1,81 TP3T. Dennoch schneidet das Land bei bestimmten Innovationskennzahlen außerordentlich gut ab. Der Global Innovation Index stuft den Stadtstaat als einen der führenden Standorte für Hightech-Produktion, digitale Geschäftsmodelle und Einhorn-Wert im Verhältnis zum BIP ein.

Die Diskrepanz ist auf das wirtschaftliche Umfeld zurückzuführen. Die Schweiz leistet hervorragende Forschungsarbeit, hat jedoch oft Schwierigkeiten mit der Geschwindigkeit des Technologietransfers, fragmentierten Prozessen und einem begrenzten Zugang zu Kapital für die Skalierung. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) stellte in seiner Standortanalyse 2024 fest, dass “Produktivitätsgewinne aus Digitalisierung und Innovation entschlossener realisiert werden müssen”.

Start-ups: Wo Singapur einen Vorsprung hat

Die deutlichsten Unterschiede zeigen sich in der Start-up-Landschaft. Die Schweiz verfügt über eine lebendige Unternehmerlandschaft, doch die Finanzierung ist schwieriger geworden. Der Swiss Venture Capital Report 2024 zeigt, dass die VC-Investitionen 2023 auf 2,6 Milliarden Franken zurückgegangen sind und 2024 erneut um rund 2,4 Milliarden Franken gesunken sind, was den zweiten Rückgang in Folge darstellt.

Die Handelszeitung berichtete, dass es für Schweizer Start-ups “immer schwieriger wird, neues Kapital zu beschaffen”. Germany Trade & Invest kommt zu einem ähnlichen Schluss: Schweizer Start-ups seien “gut positioniert, aber unterfinanziert” und würden von weniger Bürokratie und einem international wettbewerbsfähigeren regulatorischen Umfeld profitieren.

Ein weiteres Problem ist der Verwaltungsaufwand. Eine Studie der Universität St. Gallen kommt zu dem Schluss, dass das Verfahren zur Gründung einer Gesellschaft in der Schweiz “vergleichsweise komplex, langwierig und kostspielig” ist.

Singapur hingegen hat ein eng koordiniertes Förderkonzept aufgebaut. Unter dem Dach von “Startup SG” bündelt die Regierung alle wichtigen Förderinstrumente. Das Co-Investitionsprogramm “Startup SG Equity” stellt DeepTech-Unternehmen bis zu 12 Millionen SGD zur Verfügung, die von privaten Investoren ergänzt werden. Im Jahr 2023 hat das Ministerium für Handel und Industrie das Programm um weitere 440 Millionen SGD aufgestockt.

Raphael Tobler, Präsident der Swiss Startup Association, erklärte gegenüber Inside-IT, dass die Schweiz “endlich eine echte Entbürokratisierung vorantreiben muss”, insbesondere in den Bereichen digitale Identität und Unternehmensgründung, wenn sie weltweit wettbewerbsfähig bleiben will.

Regierung und Digitalisierung: Singapur treibt voran, die Schweiz hinkt hinterher

Die Modernisierung des öffentlichen Sektors in Singapur ist ein Eckpfeiler der Wirtschaftsstrategie des Landes. Im Rahmen der Initiative “Smart Nation” wurden die staatlichen Dienstleistungen umfassend digitalisiert; Unternehmensregistrierungen und viele behördliche Verfahren können innerhalb weniger Stunden online erledigt werden.

Die Schweiz hinkt in dieser Hinsicht weit hinterher. In seiner Botschaft zum Standortförderungsprogramm 2024–2027 stellt der Bundesrat ausdrücklich fest, dass die Schweiz “erhebliche Defizite im Bereich E-Government” aufweist. Branchenverbände aus den Bereichen IKT, Gesundheitswesen und Fertigung argumentieren seit langem, dass eine moderne digitale Verwaltung ohne zusätzliche Subventionen als Wettbewerbsprogramm fungieren würde.

Energie-, Planungs- und politische Modelle

Auch bei den Energiesystemen gibt es einen starken Kontrast. Singapur erzeugt laut der nationalen Energiebehörde rund 951 TP3T seines Stroms aus Erdgas und ist damit stark von den globalen Energiemärkten abhängig. Die Regierung strebt an, bis 2035 bis zu 301 TP3T der Versorgung durch kohlenstoffarme Importe sicherzustellen. Die Schweiz hingegen profitiert von einem erneuerbaren und kohlenstoffarmen Strommix, der von Wasserkraft und Kernenergie dominiert wird. Doch die politischen Auseinandersetzungen um die langfristige Energiegesetzgebung zeigen, wie schwierig es ist, Infrastrukturpolitik in einem direktdemokratischen Kontext umzusetzen. Die beiden Länder repräsentieren somit die beiden Extreme des Planungsspektrums. Die strategische Effizienz Singapurs lässt sich nicht einfach auf das föderale, partizipative System der Schweiz übertragen. Aber der Stadtstaat zeigt, wie langfristige Planung erfolgreich sein kann, wenn die politischen Akteure über einen längeren Zeitraum hinweg eine konsequente Richtung beibehalten.

Was die Schweiz lernen kann, ohne sich selbst zu verlieren

Die Schweiz bleibt einer der erfolgreichsten Wirtschaftsstandorte weltweit. Das Beispiel Singapur zeigt jedoch, dass Innovation mehr als nur Forschungsstärke erfordert: Sie erfordert Schnelligkeit, eine kohärente Politik und ein unterstützendes Geschäftsumfeld.

Drei Lektionen stechen besonders hervor.

Die Schweiz könnte ihre Position weiter stärken, indem sie die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung fortsetzt. Das SECO und verschiedene Branchenverbände weisen darauf hin, dass die Straffung der Verwaltungsprozesse und die Beschleunigung der digitalen Dienstleistungen die Effizienz insbesondere für Start-ups und international tätige Unternehmen verbessern würden.

Darüber hinaus könnte mehr Klarheit im Finanzierungsumfeld für innovative, schnell wachsende Unternehmen dazu beitragen, Lücken in der Scale-up-Phase zu schließen. Singapurs Co-Investitionsansatz zeigt, wie sorgfältig definierte öffentlich-private Mechanismen – die sparsam und mit Blick auf die Mobilisierung von Privatkapital eingesetzt werden – DeepTech-Unternehmen unterstützen können, ohne den Markt zu verzerren. Die Schweiz könnte auch Aspekte ihrer Talentstrategie neu bewerten. Der Verlust des ersten Platzes im Global Talent Competitiveness Index macht deutlich, dass sich der globale Wettbewerb um hochqualifizierte Arbeitskräfte verschärft. Singapur ist weder ein Vorbild für das politische System der Schweiz noch ein Modell für ihre gesellschaftliche Organisation. Als Wirtschaftszentrum hat der Stadtstaat jedoch mehrere Herausforderungen – von der Digitalisierung über die Gewinnung von Talenten bis hin zur Verwaltungsflexibilität – auf eine Weise angegangen, die nützliche Vergleichspunkte bietet. Für ein Land, das weiterhin zu den weltweit führenden Wirtschaftsstandorten gehören will, könnte es von Vorteil sein, solche Lehren zu beobachten und selektiv zu übernehmen.

Referenzen (APA, übersetzt)

  • Avenir Suisse. (2023). Die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz: Bewertungen und Analysen. Avenir Suisse.
  • Cornell University, INSEAD und Weltorganisation für geistiges Eigentum. (2024). Globaler Innovationsindex 2024. Weltorganisation für geistiges Eigentum.
  • Energieaufsichtsbehörde Singapur. (2023). Singapur-Energiestatistik 2023. Regierung von Singapur.
  • Enterprise Singapore. (2023). Startup SG & Startup SG Equity: Programmübersicht. Regierung von Singapur.
  • Germany Trade & Invest. (2024). Länderbericht Schweiz: Start-up- und Innovationsumfeld. GTAI.
  • Handelszeitung. (2023–2024). Berichte zur Finanzierungssituation von Schweizer Start-ups. Handelszeitung.
  • IMD World Competitiveness Center. (2025). IMD-Ranking zur digitalen Wettbewerbsfähigkeit 2025. Internationales Institut für Managemententwicklung.
  • Inside-IT. (2024). Interview mit Raphael Tobler (Schweizer Start-up-Verband). Inside-IT.ch.
  • Internationaler Währungsfonds. (2025). Weltwirtschaftsausblick-Datenbank 2025. Internationaler Währungsfonds.
  • Ministerium für Handel und Industrie Singapur. (2023). Nationale F&E-Umfrage 2022. Regierung von Singapur.
  • Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. (2023). PISA-Ergebnisse 2022. OECD.
  • Schweizerischer Bundesrat. (2023). Botschaft zur Standortförderung 2024–2027. Schweizerische Eidgenossenschaft.
  • Staatssekretariat für Wirtschaft. (2024). Standortanalyse Schweiz 2024. SECO.
  • Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation. (2022). Forschung und Innovation in der Schweiz 2022. SBFI.
  • Schweizer Risikokapitalbericht. (2024). Schweizer Risikokapitalbericht 2024. SECA & investiere.ch.
  • Universität St. Gallen. (2023). Studie zum Gründungsprozess in der Schweiz. Universität St. Gallen.

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